Informationen zur Partnerschaft Mittelherwigsdorf-Dischingen

30 Jahre ist es jetzt her, als sich Birgit Pfennig, ohne eine D-Mark in der Tasche, Richtung Westen aufmachte. Mit noch nicht mal 30 Jahren war die Agrar-Ingenieurin damals eine der jüngsten Bürgermeisterinnen im Landkreis und hatte dennoch schon für die damalige Zeit eine wichtige Mission.

Noch ein paar Monate zuvor wäre es undenkbar gewesen, dass sie mit einem "Staatsfeind" im Auto von Eckartsberg nach Baden-Württemberg fährt. Am Steuer saß Werner Röllig -ihr ehemaliger Nachbar.

 

"In den 1980er Jahren standen plötzlich Männer mit langen Mänteln bei uns auf dem Hof", erinnert sich Birgit Pfennig. Die Stasi nahm Werner Röllig mit. Erst Monate später erfuhr seine Frau Erika, dass er in Dresden im Gefängnis sitzt. 1985 wurde er dann von der Bundesrepublik freigekauft. Im Juni 1985 durften auch seine Frau und ihr Kind in die BRD ausreisen. "Innerhalb eines Tages musste sie die Wohnung auflösen, den Inhalt ihres Koffers angeben und am Dresdner Bahnhof stehen. Das war schlimm", erzählt Birgit Pfennig. Weil man das von Anderen mitbekam, saßen sie deshalb quasi wochenlang auf gepackten Koffern.

 

Später nahm Werner Röllig zu Birgit Pfennig wieder Kontakt auf. Er bat sie, ihm seine geliebten DDR-Zigaretten zu schicken. Sie trafen sich auch heimlich in Hradek (Grottau). Ins Nachbarland durften beide ja reisen. Pfennigs luden ihren Trabbi dann voll mit Zigaretten. Dann kam die Wende. Und 1990 standen Rölligs plötzlich wieder auf dem Hof in Radgendorf, wo sie einst wohnten. Es gab viel zu erzählen. Und Birgit Pfennig erfuhr, dass sie jetzt in Dischingen in Baden-Württemberg wohnen.

 

Sachsen wollte sich beim Aufbau der Verwaltungen an Baden-Württemberg orientieren. Birgit Pfennig gehörte zum "Runden Tisch" in Eckartsberg, an dem viele Leute saßen, die etwas im Ort voranbringen wollten. Sie wurde vom "Runden Tisch" beauftragt, in Baden-Württemberg eine Partnergemeinde für Eckartsberg/Radgendorf zu suchen.

 

Also fuhr sie mit Familie Röllig einfach mit nach Dischingen. Am nächsten Tag ging sie dort ins Rathaus, stellte sich dem damaligen Dischinger Bürgermeister Bernd Hitzler vor und berichtete von ihrem Anliegen. Der zeigte sich nicht abgeneigt von einer Partnergemeinde im Osten Deutschlands. Ein zweites Treffen wurde vereinbart. "Bringen sie noch zwei Leute von ihrem 'Runden Tisch' mit, aber keinen Roten", hatte Bernd Hitzler ihr mit auf dem Weg gegeben.

 

Birgit Pfennig fuhr daraufhin mit Peter Donath und Frank Heidrich erneut nach Dischingen. "Das war gar nicht so einfach. Wir hatten ja noch kein Westgeld, sondern nur DDR-Mark", sagt sie. Aber Peter Donath war Auto-Schlosser. Heimlich baute er in seinen Lada einen zweiten Tank ein. 60 Liter gingen rein. Sie wurden herzlich aufgenommen, nahmen an einer Gemeinderatssitzung teil und lernten viele Leute kennen.

 

Zur Wiedervereinigung hatten sie die Dischinger nach Eckartsberg eingeladen. Und dann kamen gleich 18 Leute. Also mussten schnell Unterkünfte besorgt werden. Ein paar Zimmer konnten noch im Hotel Dreiländereck in Zittau gebucht werden. Die meisten aber wohnten im Wohnhaus auf dem LPG-Stützpunkt in Eckartsberg. Dort wurde natürlich auch ein Frühstück für die Gäste organisiert. Aber die Dischinger dachten wahrscheinlich, im Osten gibt es nicht viel zu Essen. Sie hatten sich fast alles mitgebracht - sogar ein Bierfass und Gläser.

 

Birgit Pfennig freut sich, dass Dischingen bis heute nicht nur eine Partnergemeinde ist, weil es halt vor 30 Jahren so gewollt war. In vielen anderen Orten sind die damals entstandenen Ost-West-Partnerschaften allmählich eingeschlafen. Zwischen Eckartsberg bzw. jetzt Mittelherwigsdorf und Dischingen ist sie immer mehr gewachsen. Noch heute profitiert die Gemeinde Mittelherwigsdorf, dessen Ortsteil Eckartsberg seit der Gemeindereform ist, von der Hilfe in der Verwaltungsarbeit der ersten Stunden.

 

Zittau hatte beispielsweise beim Gewerbegebiet hinter der Weinau die Eckartsberger Flächen gleich mit überplant. Der Ortsbaumeister von Dischingen half, für Eckartsberg bessere Konditionen auszuhandeln, als vorgesehen war. Auch beim Planen und Umsetzen des Abwassernetzes und vielen anderen Projekten half die Partnergemeinde. Aber das war nur die eine Seite. Von Anfang an wird die Gemeindepartnerschaft zwischen den Vereinen, der Feuerwehr und vielen anderen im privaten Bereich bis heute mit Leben erfüllt, jedes Jubiläum wird zusammen gefeiert.

 

Die frühere Eckartsberger Bürgermeisterin Birgit Pfennig ist inzwischen seit der Gründung der Einheitsgemeinde von Mittelherwigsdorf deren Hauptamtsleiterin. Und Dischingen ist zur Partnergemeinde von ganz Mittelherwigsdorf geworden. Denn die freundschaftlichen Beziehungen sind von Eckartsberg auf alle vier Ortsteile übergesprungen. Diese gelebte, außergewöhnliche Partnerschaft zwischen Dischingen und Mittelherwigsdorf wurde am vergangenen Wochenende erneut gelebt und gefeiert.

 

 

Ein Prost auf die Einheit. Die Bürgermeisterin von Eckartsberg, Birgit Pfennig, stößt 1990 zum Tag der Einheit mit dem damaligen Dischinger Bürgermeister Bernd Hitzler an. © privat

Partnerschaft Mittelherwigsdorf-Dischingen

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